Mittwoch, 17. Oktober 2007

Mehrschichtigkeit

Am letzten Wochenende arbeitete ich auf einer Vernissage, unter anderem stellte Sibylle Peretti Studioglas-Stücke zum Thema Sehnsucht aus. Bis ich ankam, hatte ich die Stücke noch nicht gesehen. Obwohl ich in der Galerie schon gearbeitet hatte, kannte ich keines der Objekte, die extra zur neuen Ausstellungen zusammengetragen waren. Viele der Objekte waren verkäuflich, wobei die Arbeiten Perettis sofort Zugang fanden.
Dabei fand ich es so verstörend, dass viele der Interessenten scheinbar nur die erste Stufe der Werke aufnahmen. Da war eine Dame, die sich eine Reihe von Kinderfußpaaren anguckte und sich darunter ihre Lieblinge aussuchte und sich an mich wandte:
„Wissen Sie, die finde ich so reizend, ich habe selber Enkelkinder und die Füße erinnern mich an sie.“
Nach vier Stunden Arbeit, auf dem Weg nach Hause, merkte ich, dass ich von den Reaktionen nicht nur erstaunt war, sondern wirklich betroffen. Denn es ist nicht zu leugnen, dass der Zugang zu Perettis Werken, durch die zarten Farben und Formen leicht gemacht wird. Thema ist fast immer ein Kinderkörper, ganz oder fragmentarisch, als Paar oder allein.
Die Farbgebung erinnert an vergilbte Fotografien, da ist ein Hauch von verträumter Schwärmerei, aber das ist längst nicht alles. In einer Welt von Gräsern und Wiesenblüten umgeben sind die weichen, zierlichen Körper versenkt, eingeschlossen, schutzsuchend. Oftmals findet man auf der Oberfläche Glastropfen, wie Tränen, Tau oder Blut. Auf dem zweiten Blick spürt man also nicht nur die anrührenden Kinderkörper, das zerbrechliche Leben, sondern auch Nostalgie, Trauer über etwas Gewesenes. Doch da ist noch eine weitere Ebene, die der Verletzung. Bei den Fußfragmenten wird einem bewusst, dass es sich über den Fesseln wirklich um einen Einschnitt handelt, ein feiner „Blutreif“ hat sich gebildet. Aus einem anderen Paar ragen Glaskristalle, wie Scherben heraus.




Erst später las ich diese passenden Zeilen über ihre Arbeit:
Das zentrale Thema ihrer Arbeiten entwickelte Sibylle Peretti bei der Betrachtung von Kinderfotos aus alten medizinischen Fachbüchern. Angerührt und verfolgt von der Einsamkeit und dem Autismus dieser Kinder, will sie die Kleinen aus dem klinischen Kontext herauslösen und ihnen Würde verleihen. Die Darstellungen zeigen einen Verletzungs- und Heilungsprozess, wobei der Ausgang des letzteren ungewiss bleibt. „Die Kinder finden Trost im Schweigen und sprechen ihre eigene wortlose Sprache“. Dieser Gedanke wiederholt sich in den Zeichnungen von Sibylle Peretti, junge Menschen ähneln mythischen Wesen, scheinen mit Flora und Fauna verbunden und mit ihnen still zu kommunizieren. (Quelle)
Ich frage mich, wann dieser Schmerz in den Stücken die Dame erreicht, wenn ihr geliebtes Paar Füße in ihrem Wohnzimmer steht. Denn ich bin überzeugt, dass er sie auch erreichen wird. Fast wünschte ich ihr, sie würde es nie bemerken.

...you haven't changed at all
looking far with your sad eyes
the wind blew
the memory of day we met

if you would stay with me
i could do anything

can you do me a favor?
please don't let go of my hand
"
Piana: Übersetzung von: little girl poems

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