weitgeöffnetes Fenster
Es gab eine Zeit, als ich in einem kleinen Schaukasten im dritten Stock wohnte. Noch Schwabing, die tollste Gegend zum Leben in München, allerdings im abgewracktesten Haus weit und breit. Doch es war recht billig, wenn auch gesundheitsschädlich unhygienisch. Nach anderthalb Jahren musste ich dann auch deswegen umziehen, wenn nicht auch, weil der Fanatiker irgendwann zu mir zog und die 8-10 Quadratmeter mit zwei Quadratmetern Schrank einfach nicht wirklich viel Raum bot für zwei Menschen. Doch wenn man von den fürchterlichen Bedingungen der Gemeinschaftsräumen absieht, die Maden waren in einer Fett- und Staubschicht schon vor Jahren eingegangen, so dass man wenigstens keine Angst vor Ungeziefer haben musste (ich habe stundenlang mit den schärfsten Putzmitteln gekämpft und danach mich im öffentlichen Schwimmbad unter die Dusche gestellt), war es ein tolles Zimmer. Ich hatte einen wunderschönen Ausblick auf einen schönen Straßenzug mit schön gewachsenen Laubbäumen. Der einzige Schandfleck stellte mein Wohnhaus dar, welches ich also gar nicht sah. Viele Wochenenden und Abende verbrachte ich damit an meinem Schreibtisch zu sitzen, die Füße auf die kleine Heizung abstützend, ein Buch auf meinen Knien und beim Hochgucken das Haus gegenüber im Auge. Weil der Innenraum so klein war, benötigte ich den Ausblick auch als Lebensraum. Und was ich sah, dass liebte ich. Ich liebte den zu Hause arbeitenden Mann, mit seinen zwei Bildschirmen und dem Fernseher daneben, der zum Mittag Gesellschaft von seiner Tochter bekam, die Müsli aß und fernsah. Ich liebte ihre Katze, die durch das geöffnete Fenster auf den Sims stieg und sich in Sonnenflecken badete. Ich mochte den Mann, der vor allem zur Nacht auf seinen Eckbalkon ging um zu rauchen. Und vor allem liebte ich die bezaubernde Frau im sechsten Stock, die am Samstagabend auf einen Stuhl stieg um sich in ihrem Mansardenfenster zu spiegeln. „Zieh das rote Kleid an… den Gürtel hast du gerade hinter dich geworfen…“
Wir grüßten uns nie, aber ich wusste, dass auch sie mich wahrnahmen. Wenn man die Jalousien in meinem Zimmer hochzog, hätte man sich nur noch hinter dem Ungetüm von Schrank verstecken können. Man sah mich also nur nicht beim Umziehen und Abwaschen. Es muss für die gegenüber mindestens ebenso spannend gewesen sein, neben mir, unter und über mir überall die fast identischen angeordneten Zimmer (man konnte nur das Bett und den Schreibtisch an den Längsseiten vertauschen, oder den Tisch vor das Fenster stellen und mit Glück ein paar Regale anbringen.) Wie in Waben lebte in jedem mindestens ein Organismus (drei Zimmer weiter schliefen acht Chinesen in einem Zimmer, sie schliefen gestaffelt, auf und unter dem Tisch…), viel zu sehen. Übrigens auch viel zu hören. Mit zwei Bayern war ich im Haus die einzige Deutsche. Unglaublich was da an Kulturmix schon nur in der Musik auftauchte. Das zweite Stockwerk war gesperrte Zone, selbst die obdachlosen Studenten wollten kaum dort einziehen, deren Küche habe ich nie betreten, meine war schon schlimm genug. Die Notunterkunft war besser als das.
Nicht nur wegen dieser Zeit kann ich das Lied und das Video sie nachvollziehen. Und ist nicht die Vorstellung von einem Ingenieur für Papierflugzeuge reizend? Fragile Träume, die auf einer Türmatte lufterzitternd stehen.
Fettes Brot: sie