Reisegedanken
Gerade krabbelt ein latzhosiges Baby an mir vorbei. Ich grüße es freundlich. Es ist noch zu klein um Laufen zu können, selbst Stehen wird ihm noch fremd sein, erst recht im strauchelnden Gang; aber dafür hat es perfekte Manieren, es lacht nämlich grüßend zurück. Der Vater des Kindes hatte in seinem Jack Wolfskin- Rucksack –Farbwahl: türkis- einen Drachen stecken. Ich träume mich in ein Schubladenland und stecke Vater und Mutter zu den fast ordentlich gefalteten studierten Eltern. Er: Vollbart kurz gehalten mit John Lennon-Brille. Sie: farblos blond, lieb lächelnd mit Geige auf dem Rücken geschnallt.
Klar, die beiden sind in einer Schublade in meiner Nähe, also vertraut. Mein Blick also vielleicht etwas mies, aber lieb im Herzen.
Die Mutter zwei Reihen weiter lässt mich Dinge durch den Kopf gehen, die mich in ihrer drastischen Hässlichkeit verwundern:
„…wer hätte das gedacht, Bestimmung Mutter, weil was soll sonst… wobei, woher hat die den Mann hergenommen…Whoa, Ai Hua!, ist das der Neid einer kinderlosen Frau? Vielleicht hätte O. sich mit solch einer Frau aus seinem sinnlosen Leben befreien können. Eine Beerdigung weniger…
Aus den Gedanken herausgerissen höre ich den mahnenden Ausruf: „Leeeeeroy!“
„…Nee klar… Vielleicht ist das das neue Äquivalent für Kevin und Yves (natürlich Üffes ausgesprochen…)?
…
Whoa, geht das schon wieder los? Ai Hua, reiß dich mal zusammen!“
Der Zug fährt in der Stadt ein in der Herkules wohnt wenn er gerade in Deutschland weilt… -außer Dresden… und… und so…-… (Nachtrag: herausgefunden, dass es eine Taste auf der Tastatur gibt, die gleich drei Punkte setzt… Ja, wie geil ist das denn…)
Der junge Mann, der zusteigt, hat ein Faible für Karos. Etwas skurril zu seinem Skatershorts, -schuhen und der Baseballkappe die auf modern getrimmte Sherlock Holmes-Jacke und der Rucksack in grünen Karos mit Jägerloden abgesetzt. Ich liebe ihn.
Das Baby krabbelt wieder vorbei. Ich nehme ihm das durchgekaute Ticket ab, welches es sich geschnappt hat, und reiche es dem Polizisten neben mir. Der ist schließlich mein Freund oder zumindest Helfer. Der ist auch ganz nett, erklärt aber, dass er kein Ticket benötigt.
Hey, die gute Seele in Grün und khaki fährt schwarz!
Na ja, ganz legal, also nicht schwarz, sondern einfach ohne Ticket.
Ich benötige unbedingt bei meiner Rückfahrt spätestens so eine Uniform!