"...jenen vollen Klang der Welt"
Die Sonne schien, sie schien gleißend. Im Auto war es stickig und Chris Isaak sang von einer verbrennenden Liebe. N. neben mir schien etwas nervös, was solle man den Eltern sagen? Scheiße, wenn überhaupt eine ernst gemeinte, sehr kurz gehaltene Plattitüde. Ansonsten lässt man sie besser in Ruhe.
Ihr Sohn ist nicht einfach gestorben, er hat sich selbst getötet. Er ist ein Mörder am eigenen Leben. Ich habe die Worte meines ernst blickenden Gartenbau- und Religionslehrer in Gedanken nach einem Tod eines Freundes: „Selbstmord ist das Schlimmste was der Mensch sich antun kann. Denn derjenige sehnt sich nach Frieden, Freiheit aber erhält ewiges Leid.“
Er glaubte daran, dass ein Selbstmörder auf ewig in seinem Lebensleid gefangen ist. Seine Seele ist unfrei, gezwungen ewig sich um die Erde zu drehen.
Selber habe ich vor fast schon langer Zeit diesen erstaunlich sicheren Glauben verloren, dabei bin ich kein Religionsgegner, aber ich bin solch ein ewiger Zweifler, immer wieder Prüfender. Ich weiß nichts.
Darum schrecke ich in dem Sinne vor dem Suizid zurück. Herr U. war sich sicher, er wusste etwas. Ich nicht. Wer bin ich also, diese Überzeugung völlig von mir zu weisen?
Und O. hat sein Heil in der Religion gesucht… ach in so vielem und trotzdem immer den Plan in der Hinterhand gehalten. Bundeswehr um den Umgang mit der Waffe zu haben, Schützenverein um Waffe und Waffenschein zu besitzen…
Die Sonne scheint. Der junge Bestatter wechselt mit uns ein paar Worte. Er ist entfernt mit O. verwandt, nicht gravierend viel älter. Ist das ein besonderer Job für ihn?
Die Stille ist tief, der Sarg geschmückt mit maigrünen Tüchern und cremeweichen Rosen. Nach drei Sätzen des Pfarrers ein Weinen, kindgleich, verzweifelt. Ein Tuch, welches der Vater über sein Gesicht presst. Es löscht ihn nicht aus und die Tränen auch nicht. Frühlingslieder werden gesungen. Meine Stimme ist schwach.
Ich wünschte ich hätte diesen Glauben, aber ich habe ihn nicht.
Der Pfarrer, der O. vor 30 Jahren taufte versucht zu Begreifen, drückt die Trauer aus, dass er nicht ahnte was O. fühlte. Ich denke, dass jeder allein ist. Worte, die mal ein anderer Lehrer nach dem Tod eines alten Weggefährten sagte. Ich glaube an diese Worte. Bei diesem Satz bin ich mir ausnahmsweise sicher. Der Pfarrer sagt nur einen Wimpernschlag später: „Niemand ist allein!“
Der Glaube ist bestimmt tröstend, wenn er für einen arbeitet. Ich weiß nicht, ob die Menschen vor mir in den Bänken die Wahrheit mehr berühren als ich, aber ich hoffe inständig, dass ihr Glaube ihnen hilft. Es ist mir egal ob es diese Wahrheit gibt, aber wenn sie wirkt, dann bin ich die letzte die ihr Wort erhebt. Ich erinnere mich noch gut an das Licht, ich war glücklich in der Gewissheit damals, fast schon vor einer Ewigkeit. "...Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht."
Ich bin seltsam glücklich, dass so viele Menschen um ihn Weinen. Er hat berührt, er hatte Sinn.
Nochmals Worte am Grab, dann „…vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…sondern erlöse uns von dem Bösen…“
Als ich vor dem ausgehobenen Grab mit dem lächerlichen Kunstrasen stehe, welcher die verwundete Erde verdecken soll, nur um noch mehr den Blick in die Tiefe auf den schon mit Blumen und Erde beworfenen Sarg zu lenken, nehme ich Abschied von dem Menschen den ich nie richtig kennen lernen konnte. Mochtest du mich nicht? Ich mochte dich, weil dich jemand liebte, den ich liebe.
„Wir lachten beim Eisessen“, raune ich Dir zu und streue Rosenblüten auf deine Überreste.
"did you ever see anyone
did you ever known anyone
...
tell me where we plan to be"