Freitag, 16. Mai 2008

Aber der Tag war längst nicht zu Ende

(Fortsetzung)

Schon vorm Bürgerbüro hatte sich die Delegation meiner Familie verabschiedet, mit dem Auftrag an mich noch Milch zu besorgen. Geht klar.
Da mein MP3-Player bei der Hinfahrt des Geist aufgegeben hat, will ich zu einem Laden am Ende der Stadt fahren, vielleicht kann da einer das Gerät beschwören oder mir ein neues vermitteln. Auf dem Rückweg kann ich dann meine Fahrkarte zurück in den Süden kaufen und gleich nebenan beim Supermarkt die Milch. Großartige Planung also.
Der Technikmagier vom Laden hat weniger Ahnung von MP3-Playern als ich, allerdings ist er nett. Er lächelt mich schon die ganze Zeit so an, als würden wir uns kennen. Verdammt! Er duzt mich auch, tun aber irgendwie alle heute. Falls ich ihn kennen sollte, duze ich ihn einfach auch. Er sieht so aus wie ein Bruder von… oder? Aber eins ist sicher, mein MP3-Player ist hinüber, fast schon tot. Weder er, noch sein Kollege sehen da eine Hoffnung. Ich ahnte es schon, ich hatte mich schon nach neuen Geräten umgesehen. Das Gerät welches ich im Kopf hatte, führten sie nicht, aber den Bruder. Und sogar mit zwei GB mehr als ich so in der Preisklasse erwartete. Als ich nach den Unterschieden mich erkundigte kam nicht wirklich etwas Nützliches heraus, aber ich hatte ja auch schon Vorwissen. Man, ich kenne mich schließlich nach einem Abendeinlesen aus in der Branche…
Mit einem wunderschönen Gerät mehr und viel zu wenige Geld in der Tasche fuhr ich mit dem Hollandrad vom Hof, der nette Elektrospezialist winkte mir lächelnd nach. Im Geiste ging ich nochmals meine Exfreunde durch… Nein, er gehörte definitiv nicht dazu! Aber wer war das dann? Wer hat hier sonst einen Grund so auffällig nett zu sein?
Die genau gegenteilige Frage stelle ich mir 15 Minuten später bei der Bahn-Ticket-Service-Frau. Warum ist die so verdammt ätzend?
Ja nee, deutschlandweit muss man für Serviceleistungen fünf Euro mehr zahlen, aber die Preise an den Automaten seien ja da. Ja, leider nur etwas zu hoch für mich und direkt in der Sonne, so dass man nichts auf dem Display erkennen könne. Ich also auf Zehenspitzen, meine Strickjacke über den Kopf mit der einen hand noch vor die Sonne geschoben, so dass ich wenigstens etwas erahnen kann. Ja, aber wenn ich den Reisetag angebe, zeigt er mir nur Fahrtermine einen tag später an. Ich ticke noch nicht aus sondern versuche ihn auszutricksen… klappt nur leider nicht. Ein Junge will mir helfen, ich gucke ihn erst wie ein kaputtes Auto an, lasse es ihn aber dann auch versuchen. Ja, erfolglos gibt er sich auch geschlagen. Ich gehe also zurück zu der Dame im klimatisierten „Servicecenter“, ich berichte, dass der Automat eine Störung hätte und man überhaupt da auch mal ein Sonnensegel hinstellen müsste und vielleicht noch so was wie eine Stufe für fast schon kleinwüchsige… Sie schüttelt nur den Kopf, dafür ist sie nicht zuständig.
„Äh, aber Sie sind doch von der Bahn, Sie sind dann meine Ansprechpartnerin, oder nicht?“
„Nein, für den Automaten gibt es eine Hotline, ich bin nur für die Räumlichkeiten hier zuständig.“
Kurz denke ich darüber nach hier ein Chaos zu zaubern, damit sie auch etwas zu tun bekommt. Entscheide mich aber dafür erstmal die Karte bei ihr zu kaufen, sonst ist mein Sparkontingent nämlich womöglich ausverkauft. Und einen Tag länger in dieser Hölle will ich wirklich nicht.
Noch mehr Geld wechselt den Besitzer. Ich gehe zum Supermarkt und kaufe Milch, die kurz darauf in meinem Rucksack auslaufen sollte. Ich wundere mich kaum über die kalte, weiße Flüssigkeit an meinem Rücken, als ich die Auffahrt zum Haus meiner Eltern hochfahre.

Wie es dazu kam, dass ich nicht allein auf meinem Perso zu sehen bin

Die Wangen brennen, ich denke an Calvin. Mich müsste jetzt ein Tiger umhauen und glücklich lachen, vielleicht erzählt er, dass er meine Comics gelesen hat und dabei Thunfischsandwichs verdrückte. Ein perfekter Tag für ihn… Keine Ahnung ob es demnach meinen Tag noch verschlimmern würde, wäre ich Calvin, dann bestimmt.
Aber mir kommt nur ein schiefer Hooverwart entgegen, er hat die Haltung von I-Ah, nur dass er seinen Schwanz nicht verlieren kann. Unser Hund ist alt geworden. Sein Arzt sagte etwas von „..längst über das Verfallsdatum hinaus…“, ich streichle sein rotblondes Fell im Vorübergehen. Der Tag hat mich geschlagen, er tat es in jeder Hinsicht. Er war ein Meister in jeder Hinsicht. Ich niese nochmals. Ha.
Dinge zu erledigen. Mein Perso ist abgelaufen, beantrage ich doch mal einen neuen. Leider habe ich keine Passfotos mehr, ich habe mich eigentlich kaum verändert. Abgenommen, aber nicht wirklich wahrnehmbar, älter geworden, aber nur aus der Nähe, Haare länger, immer noch meist im Zopf… Die Klamotten auf dem Foto trage ich immer noch, die Ohrringe habe ich Silvester vor vielen Jahren verloren.
Ich hasse diese Fotografen, sie werden mich auffordern zu lachen. „Magst du keine Zähne zeigen?“, Wann habe ich denen erlaubt mich zu duzen?
In Ordnung erste Anlaufstelle, zweites Haus in der Marktstraße. Ich habe das zu große Hollandrad meiner Mutter mir ausgeborgt und fühle mich so, wie damals, wenn ich die Arbeitsschuhe meines Vaters mir nahm um damit im Park Sparzieren zu gehen. Ich war jünger als drei.
Auf dem Fahrrad rutsche ich etwas hin und her, wegen dem gleißenden Sommerwetter blühen alle möglichen Pflanzen, ich habe wenig Luft. Ich sehe die Zwillinge, aber sie ignorieren mich, so wie ich sie. Keine Zeit für Smalltalk, auch wenn es netter ist. Ich habe eine Mission zu erfüllen.
Gut, ich darf noch äußerst schnell einen Blick in den Spiegel werfen, aber zum Haarerichten ist eigentlich keine Zeit, da die Frau schon auf ihren Unterschenkel ungeduldig schägt. Den Stuhl will sie für mich auch nicht einstellen, ich soll lieber meinen Rücken krümmen. Und das Kinn runter. Sie ist der Boss, bestimmt, sie hat das Bild im Blick.
Schnapp, ein Bild. „und jetzt mal mit einem Lächeln“, während ich erkläre, dass ich das nicht will und es auf dem Perso auch gar nicht gewollt wird, macht es das nächste Mal Schnapp.
Sie zeigt mir die Auswahlbilder, auf dem einen sehe ich aus wie ein geschminkter, etwas dicker Uran Utan in Sepiatönen, auf dem anderen sehe ich genauso aus, nur mit geschlossenen Augen und geöffneten Mund. Meine Schultern krumm wie bei einer Kröte…
„Die sehen schrecklich aus“, wage ich zu sagen. Die Fotografin ist die Höflichkeit in Person, „Ja, wenn man so ein mieses Gesicht zieht, erzielt man auch keine besseren Resultate.“
Aha.
Ziemlich schnell springe ich ihr an die Kehle und schaffe es mit einem Biss ihr Blut aus der Hauptschlagader spritzen zu lassen. Einen Moment davor entscheide ich mich gegen die Bluttat. Ich sage lieber gar nichts mehr, sonst entscheide ich mich vielleicht nochmals um. Eins ist aber schon mal klar, dieser Laden wird gebannt, meine Familie und ihre Freunde werden informiert, dieser Laden ist Fledermausland, selbst mit goldenen Golfschuhen nicht sicher zu betreten. Ich hoffe er geht bald pleite!
Die krötenähnliche Uran Utan-Frau steht draußen vor dem Laden und kocht. Entscheidet sich dann aber für den nächsten Fotoladen. Herrje, irgendwer wird doch wohl ein paar brauchbare Bilder machen können? Ich lamentiere laut und um die Ecke läuft meine vierjährige Pflegeschwester samt meiner Mutter im Schlepptau, die wiederum den Hund an der Leine hat.
Sie kämen gerade vom Becker, wo ich den hin wolle, sie könnten mich ja begleiten. Also zum anderen Ende der Marktstraße um einen neuen Versuch zu starten. Die Fotografin ist gleich netter, sie versucht mein Haar sogar selbst zu ordnen, leider habe ich zwei Wirbel direkt am Haaransatz, meine Mutter sagt etwas von Rosettenmeerschweinchen. Ich fühle mich gleich viel schlechter, also alles gut. Ich sitze auf dem Stuhl, auch dieser wird nicht wirklich auf meinen Körper eingestellt. Die Frage nach dem obligatorischen Lächeln schmettere ich gleich ab. „Ich lächle nie, mein Leben ist eine Verkettung tragischer Zwischenfälle.“ Meine Mutter versteckt ihr überlachendes Gesicht hinter dem großen Hund, der auch höchst unglückselig hechelt.
Die Fotografin macht beeindruckt das nächste Bild, als meine Pflegeschwester nach vorne taumelt um auch auf dem Bild zu sein. Wie sich später herausstellen wird das einzig brauchbare Bild. Ich nehme es.
Die nette Beamtin bei der Stadt duzt mich und will auch geduzt werde, wundert sich etwas über den blonden Schopf, der ins Bild ragt, pinnt ihn aber ohne zu fragen an den Antrag. Hinter meinen Kopf könnte man denken, ich hätte meinen Zopf rotblond gefärbt, es handelt sich um den Schwanz unseres Hundes, den bemerkt die Beamtin nicht.
"Hat sich was an den Daten geändert?", will sie wissen, ich verneine. Alles wie immer. Sie nickt nur.
Das hat wirklich gut geklappt.
Aber der Tag war längst nicht zu Ende.

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