unangenehme Erinnerung
Erinnert ihr euch an den ersten wachen Blick in den Spiegel? Als Kind war Schönheit für mich eine bestimmte Frau. Sie machte Werbung für Seife, Shampoo oder Ähnliches. Sie badete in einem natürlichen kleinen See, umgeben von dunklen, satten großen, tropischen Blättern und sattfarbenen Blüten. Ihre Haut war cremig, ihre Gesicht oval und ihre Haare dunkel und feucht vom Wasser. Ihre Haut und die dunklen Augen hatten immer nur von Blättern gefiltertes Licht genossen und gesehen. Sie war eine europäische Frau mit Gaugin-Einschlag aus Tahiti.
Schönheit war also kein abstrakter Begriff, sondern ganz dogmatisch in dieser Frau gebündelt.
Wenn also mein Vater mir sagte, dass ich schön sei, dann wusste ich genau was Schönheit war.
Ich war vier und sah mich im Vorübergehen im Flurspiegel. Meine Mutter besitzt ihn immer noch und ich hasse ihn auch heute. Denn ich blieb plötzlich stehen und betrachtete mich. Und ich erkannte, dass mein Vater gelogen hatte. Ich wusste was Schönheit war und das vor mir war es nicht.
Zur gleichen Zeit entdeckte ich auch die Wut in mir. Ich versuchte sie zu verbergen, denn ich legte sie als Wahnsinn aus. Es durfte niemand erfahren was in mir kochte. Noch Jahre später wünschte ich mir bei jeder losen Wimper, dass ich mein Geheimnis für mich behalten könne.
Im Norden wollte mir meine Mutter unbedingt aus dieser Zeit eine alte Videokassette vorspielen. Sie war so glücklich, dass ihr dieser Blick in de Vergangenheit geblieben war. Und auch wenn ich versucht hatte der Gegenüberstellung zu entgehen sah ich es mir schließlich an. Ich erinnerte mich an alles.
Die Bewegungsabläufe und Haltung spüre ich noch heute in mir, die Sommersprossen weniger stark ausgeprägt als heute. Das ist jemand anderes und gleichzeitig ich. Es ist jemand anderes, aber jemand der die gleichen Erinnerungen hat, ich weiß genau, wieso das Mädchen die Hände im Rücken verschränkt, weiß, dass es gleich versuchen wird den großen Neufundländer aus dem Blumenbeet zu ziehen, welcher unbeirrt Tulpen köpft. Und ich weiß, dass ich mich für diesen Menschen bis heute schäme, dass er sich nicht anders zu helfen weiß, als die Flanke des Tieres zu schlagen. Und es macht alles nicht besser, dass der Neufundländer gar nicht reagiert, nur kurz die Hand liebevoll abschleckt und dann weiter Tulpen köpft. Dieses kleine Mondgesicht mit den schwarzen Schlitzen als Augen in dem rosa Pullover, der chinesischen Ponyfrisur.
Alles vereint, das hässliche Ding und die gezeigte, unbeherrschte Wut.
Oh wie hasse ich dieses Video. Und es macht es nicht besser, dass ich heute weiß, dass dieses Mädchen süß und hübsch war. Denn die Erinnerung bleibt bestehen.