fünf Jahre
Er war nicht immer freundlich, sicher auch nicht immer überschäumend glücklich. Bei weitem nicht. Wie sehr liebte ich diese schlechten Launen. Oh, ich liebte ihn vom ersten Augenblick!
Während die anderen in Sorge feststellten, dass ein Mensch nicht so reagierte und war wie es der Norm entsprach, so sah ich als Kind nur die sonderbare Schönheit. Wie sehr liebte ich die fleischig, weichen Ohren… Merkmal des seltenen Syndroms.
Er war nicht immer freundlich. Er freute sich diebisch, wenn er meinte andere ausgetrickst zu haben. Oh ja, er kannte Häme.
Und obwohl er sich häufig in schlechte Launen steigerte bis er krampfen musste, hatte er die beruhigendste Ausstrahlung zu eigen, die ich je bei einem Wesen spüren konnte. Ich schlief an seiner Seite. Mit meiner Hand auf seinen knochigen Brustkorb und hörte seiner immer leicht röchelnden Atmung zu.
Ich las ihm vor. Als Kind war ich überzeugt, dass er mir genau folgte. Jetzt bin ich nur sicher, dass er meine Stimme mochte, sie ihn beruhigte. Wir wuchsen zusammen auf. Wir mochten uns.
Er war nicht immer freundlich, aber ein Verfechter des Lebens. Er war der lebensbejahendste Mensch den ich kennen lernen durfte. Die ganzen schweren Krankheiten durchlebte er. Wie oft hatte ich ihn zum scheinbar letzten Mal besucht. Aber er wollte nicht gehen. Er liebte das Leben.
Als eine Freundin sich vollkommen unbedacht und hirnlos für die Euthanasie aussprach wollte ich ihr sein Lebensglück am Liebsten einprügeln. Ihr Gewalt antun, damit sie die Angst vor dem Anderssein verliere, die sie als Mitfühlen vor einem scheinbar unwerten Leben auslegte.
Seinen Willen vermisse ich. Schon wieder Jahre her, dass dieser Wille aus dem Leben ging. Ich hätte mehr von ihm lernen sollen.