Motorradhelme und Romeo und Julia
Heute kam auf 3sat die Erstausstrahlung der Erstaufführung von der Umsetzung des Aterballetto im Oktober. Ideengeber waren Mauro Bigonzetti und Fabrizio Plessi. Also durchaus ein Grund für mich mal einzuschalten, vor allem aber, weil ich die Musik von Sergej Prokofjev wirklich vergöttere und immer dem gleichnamigen Ballett von Tschaikowsky vorziehen würde. Es macht mir auch nicht so viel aus, dass es den beiden „Machern“ eher mal gar nicht um die Musik geht, sondern um die Geschichte. Der Urtypus der Liebe… Ist zwar etwas enttäuschend, aber um ehrlich zu sein habe ich auch bei Plessi nicht erwartet, dass er großartig etwas zu der Musik sagt. Und bei Bigonzetti meine ich schon dass ihm die Musik von Prokofiev sehr wichtig ist, auch wenn er es nicht wirklich explizit sagt, reicht mir doch die Aussage:
- „Wie Les Noces, wie Le Sacre du Printemps pulst Romeo und Julia seit jeher schon durch meine DNA. “[1]
Bei der Nennung der vorangegangenen Stücke bezieht er sich klar auf Ballette die stark musikalisch geprägt sind und auch wenn er dann wieder zur Geschichte abschweift sagt er später aus:
- „Es ist die Liebe, die die Leidenschaften entfesselt, und eben dies, ungeachtet der Erfahrungen und der sozialen Schutzstrukturen, katapultiert das menschliche Wesen jedes Mal an seine Grenzen, peitscht es zu unkontrollierbarem Tempo an, hin zu Orten, wo die Seele sich entscheiden muss, wo die scheinbar schon eingeschlafenen Instinkte neu aufblühen, die einer Begegnung unermesslichen Wert verleihen oder in die bewusstlose Gewalttätigkeit des Zweikampfes münden.“[2]
Zwar wieder keine Betonung auf die Musik, aber das alles wäre in Bezug auf Tschaikowskys Ballet gar nicht anwendbar. Jedenfalls nicht in den Maßen. Das „unkontrollierbare Tempo“ wird nicht nur durch die Geschichte hervorgerufen, sondern eben auch durch die Musik.
Gut, die Musik steht also nicht im Vordergrund, ich bin also gespannt auf die Choreographie und auch auf die Gestaltung. Ja… Also ich mag zeitgenössische Umsetzungen. Wirklich! Aber Plessi ging mir dann doch etwas zu weit. Ja klar, diese komischen an Scienfiction-Filme erinnernden Kostüme waren ja auch wohl begründet. Sicher Schutzanzüge weil:
- „Wir alle haben Airbags, um unseren Körper vor den gewaltsamen Stößen abzuschirmen, die uns jederzeit im Leben treffen können. Dagegen haben wir uns noch nie die Frage vorgelegt: Was für Airbags besitzen wir denn, um unsere Seele zu schützen? Mit unseren Empfindungen, unseren Gefühlen, stehen wir völlig schutzlos den gewaltsamen Stößen der Liebe gegenüber. Und die lässt einen in wenigen Augenblicken die Kontrolle über sein Herz verlieren, die man bis dahin zu haben glaubte. Romeo und Julia waren zwei Jugendliche, die in wahnsinnigem Tempo darauf zusteuerten, rettungslos an der Mauer der Liebe zu zerschellen, ohne jeden Schutz.“[3]
Gut, dafür nehme ich auch in Kauf, dass ich ein ganz klein Bisschen an Mad Max denken musste (Tina Turner und Mel Gibson flackern kurz irr geistig durch mein Wohnzimmer), aber warum muss denn bitte andauernd ein Tänzer mit einem Bein in einem Motorradhelm tanzen? Klar, bildlich lässt sich das leicht erschließen, sagt ja Plessi selbst:
- „Die Helme, die karbonfaserverstärkten Schutzanzüge, all die tausend Tricks, die jeder von uns im Lauf seines Lebens so einsetzt, sind schlicht nutzlos. Um mit voller Geschwindigkeit tief in die Seele des Anderen einzudringen, brauchen wir keine komplizierte Satelliten-Navigation. Unser Adrenalin allein ist es, ein einzigartiger staunenswerter Bypass, der uns geradewegs ins Herz befördert. Und das Tempo von dessen Schlägen wird das einzige Echo sein, auf das wir achten müssen; die einzige Landkarte, die wir zu durchqueren brauchen. Hinhorchen genügt.“[4]
Aber egal was er sich da Tolles ausgedacht hat, es sieht total bescheuert aus. Man muss doch nicht um Teufel-komm-raus alles für die Symbolik tun.
Und da finde ich ganz und gar nicht, dass Bigonzettis (anbetracht beispielsweise dieses Helms) „Interpretation […] den Stoff auf das Wesentliche [reduziert]: Das Gefühlsrad zweier Liebender, das sich um Leiden- schaft, Streit, Schicksal, Liebe und Tod dreht“[5], denn wie 3sat sofort folgend schreibt:
- „Im coolen Ambiente einer Motorradgang, im Leder der Biker, vollführen die jungen Menschen den schwierigen Balanceakt zwischen Schutz, Brutalität und Verletzbarkeit. Eine Windmaschine katapultiert Romeo und Julia ins Hier und Jetzt, entreißt ihnen die verstaubten Masken alter Theatertradition. Mit dieser Interpretation entstand ein frisches aktuelles Tanztheater, das eine enge Verbindung zu unserem heutigen Dasein schafft.“[6]
Ja klar, hört sich wirklich total auf das Wesentliche reduziert an…
Und was bitte hat eine Ledermotorradgang mehr mit meinem Leben zu tun, als zwei Menschen aus Zeiten Shakespeare oder aber Prokofjev (beide auch ja noch paar Ewigkeiten entfernt)? Ich will ja nicht spitzfindig und quengelig sein, aber Motorräder und so haben nicht sehr viel mit meinem Leben zu tun, vor allem wenn die Träger gleichzeitig anstatt eines Schuhs einen Helm tragen und über die Bühne eiern.
Ach ja, ansonsten hat es mir gefallen.
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[1]3sat: „Mauro Bigonzetti über „Romeo und Julia“ [25.11.’06][2] Ebd.
[3]3sat: „Fabrizio Plessi über „Romeo und Julia“ [25.11.’06]
[4]Ebd.
[5]3sat: „Aterballetto tanzt: Romeo und Julia. Aufzeichnung der Deutschen Erstaufführung im Oktober 2006“ [25.11.’06]
[5]Ebd.