Füchsin im Spiegel
Eigentlich begann alles schon viel früher. Im milchigen Wald wispern die blassen Äste im Aneinanderreiben mir Worte zu. „Anfangen wo es anfängt“, raten sie mir wiederholt und ich blicke in der dunklen Nacht ratlos zu ihnen empor. Ich weiß, dass ich den Weg in den Wald antrat, weiß, dass ich davor ruhte, den Atem der Anderen hörend, schlafschwer und selbst verloren, aber ich weiß nicht wie es begann. War es, als einzig der Badezimmerspiegel Zeuge wurde, der Moment, in dem ich mit jedem Ertrunkenen mit zerbrochenen Flaschen angestoßen hätte, die aufgedunsenen Fleischfetzen auch an mir ahnend und die weißen, bloßen Knochen eifersüchtig ersehnend? Oder war es der Moment von vielen, als der Mann mit den schwarzlistigen Augen begehrlich das gefiederte Weib betrachtete, ihren Puls jambisch erroch und die Füchsin neben ihm vergaß?
Wo begann es? Wo verlor ich die rosigweiche, linnene Unschuld? Ich tappe immer noch mit erhobenem Blick samtpfotig zwei Schritte zurück und spüre die Umarmung eines Baumes. Seine Rinde säuselt leiser als die Äste, aber mein Ohr ist dicht, streift seine grünflechtige Haut und hört alles: „Die Zeit vergeht. Horch, die Zeit vergeht.“
Ermahnung, Erinnerung? Und ich denke nach und sehe den alten Bekannten in der Dunkelheit blass und pockenzernarbt durch den Chor der Äste starren. Hatte er mir nicht selbst gesagt, dass er keine Mutter hatte, die ihn nicht ermahnte nicht zu kratzen? Er war immer einsam und ist trotzdem immer Zeuge. Hat er nicht die gleiche Form wie der Spiegel? Sind sie dieselbe Person, ein silbern schimmerndes Symbol? War er es nicht, der mein Glück vor Eifersucht nicht ertrug und mir die Wahrheit zeigte? Damals, vielleicht als alles begann, ich noch mandeläugig mit offenem Blick nicht geblendet wurde und es nur die Dämmerung gab. Auf meinem Weg hielt er mich an und zeigte auf sich, forderte mich heraus ihn zu betrachten. Er erfand mein Spiegelbild, erschuf mich nach seinem Ebenbild. Und hoffte sein Leid zu teilen. Doch geschenktes Leid gehorcht nicht der Mathematik und wächst beim Teilen immer um das Doppelte. So dass wir nicht gemeinsam tragen, sondern im Hass nur immer das Selbe sind.
Ein Schluchzen bellt aus meinem Mund, und die gespaltene Rinde schluckt meine Träne. Und tröstend singt sie im Bass mir zu, und der mehrstimmige Chor der Äste stimmt bald mit ein. „Ich werde dein gottgegebener Garten sein, weine nicht, wir können der Himmel auf Erden sein…“
Ich höre nicht, ich fühle nur die blutige Fährte. War der Anfang gesetzt, war mein kindgleiches Glück verloren, als ich die liebeskranken Federkugeln mit dem gurrenden Kropf das erste Mal schmeckte? Ihre Hälse waren flaumweich und ich schmeckte auf ihnen den genießerischen Speichel meines rotstromigen Geliebten. Nach den ersten gierigen Schlucken seiner Gier und der federleichten, nun blutigen, federleichten Seeligkeit stieß es mir übel auf. War das der Beginn? Als sich meine schlanken Zähne das erste Mal rot färbten?
„Aber eigentlich begann alles schon viel früher“, säuseln die Blätter.
kursiv= Zitate aus Dylan Thomas: Unter dem Milchwald
Ein
Das habe ich nicht nur bei Gier durchgezogen, sondern noch plumper bei "federleicht" oder aber auch mit "schmecken. Gedanke dabei war zum einen das laute Lesen, dabei den Klang Ingeborg Bachmanns fahrigen Stimme in den Ohren; zum anderen stellt die Wiederholung für mich eine Chance dar bestimmte Begriffe hervorzuheben.
Wegen dem Kozept dahinter würde ich das jetzt auch nicht ändern, auch wenn ich mir durchaus bewusst bin, dass es nicht so ganz geglückt scheint.
Und dann ist die Benutzung der Adjektive natürlich auch an Dylan Thomas angelehnt, wenn es nicht sogar andere bösartiger als schlechter Abklatsch bezeichnen würden. Unter dem Milchwald ist aber ja auch zum Hören und etwas weniger zum Lesen gedacht, wobei der Lesegenus bei Thomas trotzdem enorm ist.