Fiktion und Wirklichkeit
Rapunzel und ich waren Freunde, sie lebte im höchsten Stock in einem hässlichen Block. Ihre Eltern waren geschieden. Und in ihrem Turmzimmer hingen Wendyposter. Wir waren eigentlich total verschieden, aber zumindest aus derselben Stadt und in derselben Klasse. Ihre Mutter war keine Hexe oder böse Fee, sondern hatte nur nach der Scheidung diesen Guru in Indien getroffen.
Rapunzel sprach anders, Sex war etwas für sie was man tat wenn man cool war (für mich, was einfach irgendwann dazu gehört. Irgendeinen Vorteil musste doch dieser Körper haben, der einen sonst nur Schmerzen brachte), sie liebte Pferde (Rosa Zeitschriften und geflochtene Mähnen irritierten mich), besaß noch in einer Ecke ein Monchichi, stand immer auf Menschen, die ich total hohl fand… Aber es verband uns auch immer mal wieder etwas. Bücher, die Bibliothek, später immer mal wieder Musik. Wir waren die ersten, die Tampons nicht dazu benutzen um Klingelstreiche noch zu steigern. Und als sie sich in die Punkszene gemütlich einrichtete färbte und rasierte ich ihr die Haare.
Wir trafen uns also häufig und häufig ging es darum, dass wir uns dazu trafen Bücher aus der Bibliothek zu holen um sie dann in ihrem Zimmer zu lesen.
Angeregt warfen wir einmal die Bücher in die leicht verstaubte Ecke mit den Kuscheltieren und nahmen uns vor endlich auch Abenteuer zu erleben. Wir würden, wie die Helden der Geschichte auch einen Fall aufdecken. Die gingen auch nur so vor sich hin und ein dicker fetter Fall flog ihnen vor die Füße. Wir zogen uns also die Schuhe an und sagten ihrer Mutter Bescheid, dass wir draußen wären. Und dann schlenderten wir durch ihr Wohngebiet am Rande der Stadt.
Und tatsächlich fanden wir heruntergekommene gläserne Gewächshäuser. Die meisten Rahmen waren glaslos, mehr gesagt das Glas war verworfen, zeigte Zähne. Wir gingen durch die alten, verbrauchten Acker und fanden schlafende Igel, Müll. In einem Arbeitsraum fanden wir dann die Bottiche, voller Zeichen, die nicht davon kündigten, dass diese Gärtnerei mal auf ökologischer Basis gearbeitet hatte. Wir witterten geschult von unzähligen Abenteuerromanen den Giftmüllskandal.
Wir schlichen uns sogar an den Mann heran, der eben genau irgendwelche Mischungen aus diesen Eimern vornahm. Weißes Pulver (vielleicht doch nur Kalk… oder aber als Blumendünger oder Insektizide getarnte Drogen), welches romantisch im Licht staubte. Leider hat er uns aber gehört. Und wir konnten gar nicht siegesgewissen und mit moralisch geschwellter Brust ihn zur Rede stellen. Vielmehr verjagte er uns lautstark. Wir wären nur wieder welche von den Herumlungerern, die die Scheiben einwerfen würden.
In sicherer Entfernung berieten wir uns und stellten fest, dass wir gar keine Rechte in dieser Sache hatten.
Also gingen wir wieder in ihr Zimmer und schrieben unsere eigenen Abenteuer, wenigstens. War allenfalls besser als sich verprügeln zu lassen.