Die Reisetasche
Eine abgewrackte graue Tasche. Eher eine Sport-, denn eine Reisetasche, mit einem goldschimmernden Emblemschild. Monarch, keine Ahnung ob billig, aber die Tasche zeigt trotz der ganzen Schäbigkeit heute, dass sie von guter Qualität war. Denn ich kenne sie mein Leben lang. Mein Vater nahm sie mit auf Reisen. Meine Eltern packten sie zusammen wenn er seine Familie besuchte, auf Reisen war. Er holte sie aus den rot lackierten Eckschrank und wenn sie noch leer waren und meine Mutter das Adressen- und Namensfeld beschrieb durfte ich hinein klettern. Im bequemen Fötushaltung lag ich darin und mein Vater zog den doppelseitigen Reißverschluss zu und sprach mit seiner lustigen Stimme, dass er mich so billig mitnehmen könne.
Auf diese Tasche fielen Herbstblätter der Wälder in North Carolina, brachten deutsche Pralinen zu meiner Amah nach Singapoure, hat Kaugummi als Schmugglergut von Malaysia nach Singapoure eingeschleust, wurde hastig untersucht, ob auch wirklich keiner seine Drogen einem untergeschoben hatte. Sand des Pazifiks verfing sich in den Nähten und wurde erst wieder im hohen Norden Deutschlands ausgeschüttelt. Aus Versehen war die Tasche mal allein in Hawaii und fand erst Monate später ihren Weg nach Hause, damals als sie noch fürsorglich ein Schild trug. Schluffig stand sie einst an der Ecke eines Bettes in einer Renaissancevilla in Florenz und Autohupen der Lieferwagen drangen durch die hölzernen Fensterläden. Schwitzige und voll geblutete Judoanzüge wurden nach Trainings- und Wettkämpfen in sie gestopft, manch eine Auszeichnung meines Bruders mit dabei, seltener von mir. Damals war ich nicht aggressiv genug, bei mehreren Wettkämpfen war der türkische Junge mein Gegner, der sich vor der Verbeugung selbst anheizte indem er sich mit den Handflächen hart auf die Wangen schlug.
Die Tasche war auch Untergrund für Salamander in der Toskana, nach einem gleißenden Sonnentag mehr gezogen als geschleppt. Sie sah Paris, Amsterdam und roch nach dem absinthenen Prag. Schwarze Nacktschnecken in Dänemark hinterließen ihre klebrigen Spuren, Bonny, die Neufundländerhündin die meine Kindheit begleitete, verfrachtete dort kurzerhand ihre Welpen und Lucas, der Kater der mehr auf sie achtete als die Mutter, sprang hinterher.
Und ich packte sie, als ich in eine ungewisse Zukunft nach München fuhr. Eine Nacht war sie Kissen, weil es zu spät war um zur Herberge raus aus München zu fahren. Und als ich das Bett in der Notunterkunft mietete schloss ich sie in eine der vielen Schließfächer am Hauptbahnhof. Neben mir stand ein Mann mit einem Tumor am Hals, der weit über seine Brust ragte, er fragte mich nach etwas Kleingeld, ner Mark.
„Wenn du sie nicht mehr benötigst, dann kannst du sie einfach wegschmeißen“, sagte meine Mutter und deutete auf die aufgerissene Naht mit der aufgefaserten Stoffseite am Reißverschluss. Doch noch habe ich sie, sie dient mir als Wäschekorbersatz. Genau eine Waschmaschinenfüllung passt hinein (eigentlich zu viel). Und wenn ich die Trommel fülle und in die davor stehenden Tasche greife stelle ich mir vor, wie es gewesen wäre, wenn ich längst Kinder gehabt hätte, die in sie krabbeln und mich darum bitten den Reißverschluss zu zuziehen und mich bitten sie mit zunehmen. Und wenn ich ihnen erzählen würde, wie alt sie ist… im Verhältnis zu ihnen.
”You show me continents
I see the islands
You count the centuries
I blink my eyes”
ein überbleibsel ...