Fremdleben erleben
Ich sitze in der Tram. Meine Nase läuft. Aus ästhetischen Gründen vermeide ich den Blick aus dem Fenster, denn draußen dämmert es und ich würde mich spiegeln. Es ist schwül, heiß. Ich schnaufe. Und ich muss an kleine niedliche Ferkel denken, die sich etwa genauso anhören, wie ich mich gerade. Nur, dass ich mich gerade nicht so gut fühle. Aber das Gespräch zwischen den beiden Alten vor mir ist gut. Ich muss trotz tränender Schweinsaugen lächeln. Die beiden sind schwerhörig und unterhalten sich deshalb sehr laut über gemeinsame Bekannte.
„…nee, stur sachich nur. Der ist bockig wie’n Kind!“
Die andere nickt. „War ja auch schon damals ein dummer Hund.“
Leider versucht die Frau hinter mir die beiden zu übertönen, sie schreit in ihr Telefon. Aber es ist sowieso nur ein Monolog. Ich glaube, der geht es so dreckig, dass ihr die anderen egal sind. Sie hat genug… oder so etwas schreit sie auch gerade in den kleinen Kasten in ihrer Hand. Ich wage einen längeren Blick in das spiegelnde Fenster. Sie ist stupsnasig, mit viel Masscara, zum Verheulen wie geschaffen.
„Und wer ist für mich da?“ schreit sie gegen die Alten an. Und ich habe fast das Gefühl, dass sie auf eine Voice-Box spricht oder zumindest mit einer Person, die ihre Verzweiflung sowieso nicht hört.
Aber ich irre mich, denn nach kurzem Schweigen, lacht sie auf. „Ach, du findest Menschen widerlich, die nie glücklich sein können? Dich sich immer nur in ihrem Unglück suhlen? Und nicht sehen was sie am Leben haben?“
Sie atmet schwer. Und außer den beiden Alten, die sowieso nichts anderes hören, hört jeder in der Tram der Frau zu.
„Dann sag mir doch warum ich glücklich sein soll?“
Ihr Stimme überschlägt sich leicht.
Ich stehe auf, weil die nächste Haltestelle meine ist. Ich schniefe und schnorchel weiter wie ein kleines Schwein. Und grüße Wilbur aus meinen Kindheitstagen. Im Hintergrund schreit die Frau ins Handy und die beiden Alten sich gegenseitig in die Ohren.
traurig. besonders, weil alle welt schreien muss, um sich nach vorne, ins licht, zu rücken. um einander verständlich zu machen. & furchtbar piensig, also: die frage der frau, weshalb sie glücklich sein soll. in solchen situationen muss ich mich immer beherrschen, um nicht zum großen moralischen monolog anzuheben. aber naja. jeder liebt sein unglück auf seine weise.
btw. die bahn/tram-begegnungen haben es in sich, - zumindest stelle ich das momentan so fest. eigentlich komisch; hab das gefühl, dass sich das in letzter zeit häuft. oder hat man das früher nur nicht so offensichtlich wahrgenommen? (liegt vielleicht daran, dass ich immer meine musik vergesse). oder warum werd ich ständig angequatscht? oO"
Um ehrlich zu sein, habe ich aber auch sehr schöne Gespräche gehabt. Mir erzählte nämlich auch mal ein Pakistani, wie nett ich sei, und dass er sich in Deutschland sonst immer so unwohl fühlt, weil Allewelt sich ignoriert, aber zu Hause würden sich die Menschen einfach in öffentlichen Verkehrsmittel unterhalten und sich damit die Zeit verkürzen. Und bei mir hat er sofort gesehen, dass ich das verstehe (man hatte ich ein schlechtes Gewissen dafür, dsas ich am Anfang des Gesprächs in mir weg gewüncht hatte)...
nett aussehen. ja. auch wenn ich es genauso versuche, es nicht zu sein; nett. mit großen bauschigen kopfhörern & riesigen büchern, mit zusammengezogenen augenbrauen & strichigen lippen, aber jedes mal, - immer, - folgt das gespräch schritt & tritt auf mein erstauntes gesicht: wenn mir wieder jemand auf die schulter tippt, mich etwas fragt, ein wort an ein andres reiht, & mich zum reden auffordert. das problem: ich bin selten richtig angepisst, oder finde es störend; ich bin nur schrecklich irritiert. (ist das typisch deutsch?)
tatsache ist, dass ich dadurch auch schon echt coole gespräche hatte, - ich finde es nur manchmal merkwürdig, dass man sich eine weile kennenlernt, für die dauer der fahrt, & dann wieder aus den augen verliert. da kann man die ganze welt im augenblick teilen, & dann? ist man fort.