Mittwoch, 20. Januar 2010

Der Langsame am Bahnsteig

Immer wieder höre ich den Ausspruch, dass mit dem Alter die Zeit schneller verstreiche. Dem kann ich mich nicht anschließen. Für mich verging die Zeit immer schnell. Natürlich gibt es auch in meinem Leben Augenblicke, die sich ausdehnen, die außerzeitlich sind. Doch ansonsten zerrinnt alles, ist immer schneller als ich. Die Sommerferien vergingen immer zu schnell, die nächste Matheklausur rückte immer zu schnell auf mich zu, Abgabetermine für Seminararbeiten oder Magisterarbeit überholten mich mit erschreckend guten Sprinterqualitäten.

Heute werde ich älter und habe nichts von dem erreicht was man so gemeinhin erreichen sollte. Und alles was ich erreichen habe wollen steht oftmals nicht in meinen Möglichkeiten.
Muss ich mich neu erfinden oder einfach beschleunigen?

Ich denke gerne an die Erwiderung einer einstigen Freundin, als ihr jemand vorwarf, dass ihr Zug abgefahren sei, sie die Chance verpasst habe: „Dann nehme ich den nächsten!“
Ich lachte damals. Und heute würde ich ihr wohl hinterherwinken.

"[...]
but you were standing there so close to me
like the future was supposed to be
[...]

I remember
remember well
but if I'd forgotten
could you tell?"

vampire weekend: taxi cab

tinius - 20. Jan, 22:25

Das schnellere Verrinnen der Zeit im Alter ist eher die Wahrnehmung, daß Vergangenes im Rückblick näher zu liegen scheint, als es tatsächlich ist / war : daß eine Frau gerade noch schwanger gewesen zu sein scheint, aber es unabweisbar ist, daß ihr Kind bereits im letzten Herbst eingeschult wurde. (Ich werde älter, ich merke es immer deutlicher.)
Was man gemeinhin erreichen sollte, entwickelt in modernen Zeiten eine beachtliche Divergenz zu den realen Lebenswegen (und es wird vermutlich noch etliche Jahre dauern, bis sich der gesellschaftlich - moralische Kodex den gegebenen aktuellen Verschlingungen der realen Lebens - und Erfahrungswelt anzupassen geneigt ist. Zudem - und das war eigentlich schon immer so - ist "man" nicht gleich "ich" oder in diesem Falle "Du". Und es mag sein, daß Zugfahren Dir nicht adäquat ist, daß eine Wanderung oder aber eine Flugreise in Richtung anderer Kontinente besser passt.
Schaue ich auf mich, haben sie den Bahnhof geschlossen, das Geleis ist ein totes, und ich habe geholfen, die Hinweisschilder und das Flatterband anzubringen. Ich erkunde die nähere und weitere Umgebung, kuschele mich in Schilfhütten - und träume manchmal vom ICE. ;) LG tinius

mehrLicht - 20. Jan, 22:51

Wäre man also der Zeit untergeordnet, wenn man sich im Hinterherwinkmodus befindet? Hat die Zeit uns im Griff? - Ich finde es oft hilfreich, wenn ich mir die Zeit als Gegenüber (fast figürlich). Sie hat eine unabänderliche Aufgabe: zu verrinnen, unaufhaltsam. Ich kann mich in ihr bewegen, selten gibt es Möglichkeiten (Träume, Meditation etwa oder Momente, die "zeitlos" sind, in Musik z. B.) in denen sie unwichtig, unpräsent wird. Einige spannende Betrachtungen dazu finden sich übrigens auch in diesem Buch
AiHua - 21. Jan, 10:27

Ehrfahrung von Zeiträumen als kürzer, naher oder ferner hat oftmals auch mit Beschäftigung zu tun. Wenn ich tagtäglich mit der einst schwangeren Frau und ihrem Kind zu tun habe, dann werde ich nicht daran denken, dass sie doch eigentlich erst in den ersten Monaten ihrer werdenden Mutterschaft wäre. Genauso ergeht es mir aber auch mit geschichtlichen Epochen. Ich muss immer darübver schmunzeln (als Historikerin wahrscheinlich), wenn Leute behaupten, dass etwas ja so lange zurück läge, wenn es doch nur läppische 100 Jahre von heute entfernt ist. Wenn man sich von Mensch, Geschehnisse und Gegenständen der Zeit hangelt wird immer alles vom zeitlichen Abstand geringer, geht nahtlos ineinander über und ist somit dem Jetzt sehr nah.
Für mich geht irgendwie alles schnell. Ich bin selbst davon überzeugt, dass ich langsamer blinzel als andere, meine gedankliche Reaktionzeit ist auch nicht gerade die schnellste... Ich bin einfach langsam...

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