Damals war alles anders
Damals lernten nämlich noch Menschen ihre Lebenspartner zufällig kennen und das auch noch von Haydn umspielt. So erging es jedenfalls einem alten Herrn, der von mir sehr geschätzt wird. Er war, ist eindeutig ein Kulturhumanist, so im positiven Sinne… meistens jedenfalls. Also durchaus nachahmenswert… meistens jedenfalls. Jedenfalls musste ich letztens an ihn denken, denn damals wie heute gab und gibt es ja für einige Menschen auf dieser Welt den heiligen Krieg. Für den Herrn nicht, aber er hatte einst einen sehr geliebten Freund. Und Freunde liebt man nicht nur aus rationalen Gründen, ich habe gehört, dass das heute immer noch so ist… aber zurück zum Herrn mit seinem etwas eigenartigen Freund. Künstlerpack könnte man wohl sagen und das trifft an sich auch auf den Herrn zu, natürlich höchst positiv… meistens jedenfalls. Der Herr studierte gerade in München, entweder Schauspielerei, dann Anglistik und Romanistik (bei der Anglistik sollte er dann bleiben) und was auch immer, wahrscheinlich ein studium universalis (im bescheidenen Bildungsbürgertum verhaftet… Anatol in glücklich lässt grüßen), als seine Hauswirtin ans Telefon rief. Eine Frau, die man irgendwo zwischen Holmes Mrs. Hudson und Miss Marple ansiedeln muss, aber das ist wieder eine andere Geschichte, also zurück zum Anruf. Der damals noch sehr junge Herr wurde also ans Telefon gerufen, daran sein etwas eigenartiger Freund, der ihm pathetisch aber kurz angebunden mitteilte: „Wenn du mich noch einmal lebend wieder sehen willst, dann komme schnell nach Wien, denn ich werde morgen in den heiligen Krieg ziehen!“
Und der damals junge Herr fuhr Hals über Kopf, aber wahrscheinlich mit perfekt sitzender Krawatte mit dem Zug nach Wien. Anscheinend waren manche Äußerungen seines Freundes sehr ernst zu nehmen. Und der damals junge Herr wusste genau, was sein Freund eigentlich mit dem heiligen Krieg meinte. Ans sich wie der ehemals junge Herr aus einer katholischen Familie stammend hatte sich sein etwas eigenartiger Freund dem Judentum hingegeben. Er gehörte also irgendwie zum auserwählten Volk, durchaus voller Leidenschaft und auch dem Gefühl für die Religion heroisch zu sterben, jedenfalls eine Zeit lang.
Der ehemals junge Herr fuhr also nach Wien, entweder um seinen Freund aufzuhalten oder aber um sich zu verabschieden.
Viele Stunden später stand er mit dem Hut in der Hand (nicht wirklich, jedenfalls kann ich es nicht beweisen) vor der Tür seines Freundes, dieser machte ihn dann auch etwas verträumt und erstaunt seinen Freund aus München sehend die Tür auf.
„Komm rein“, sagte er wohl nur und ging den schmalen, langen Flur zu seinem Wohnzimmer, aus dem Haydn erklang. Und bevor der ehemals junge Herr noch seinen Freund fragen konnte was das denn vor Stunden am Telefon eigentlich so recht gewesen sei sah er sie. Seine Frau (zukünftig), Haydn umspült, umsponnen. Er sagte zu mir mal, „Haydn, ganz filigran und dazu auf dem Sofa das schönste Mädchen das ich jemals sah“.
Viel später fragte ich den einst jungen Herrn was denn aus seinem etwas eigenartigen Freund geworden sei.
„Er ist nie gefahren, er ist nie ins heilige Land gefahren. Aber zwischen den Klängen von Hayden verhaftet fand ich die bezaubernste Frau“... meistens jedenfalls...