Samstag, 16. August 2008

„Du warst immer so ein frohlich Kind“…

…heißt es in einer Astrid Lindgrengeschichte. Und auch wenn ich die Kindheit sicher nicht als ein entschwundenes Paradies ansehe, meine Kleinstkindheit erschien mir doch erfüllt von Lebensfreude und auch Glück. Es war nicht schlimm, dass ich nicht allen Erwartungen entsprach, vielleicht war es sogar genau das, was sich meine Mutter wünschte. Denn auch wenn ich es heute oftmals anders sehe, für meine Mutter war das Normalsein immer schon ein Gräuel. Wenn also etwas nicht der Norm entsprach, dann war es doch zumindest eigen und das war für sie zwingend gut. Mein Vater mag es anders gesehen haben, aber ich entsprach dann wiederum soweit der Norm, dass er nichts zum Aussetzen hatte. Ich hatte zwei Beine und zwei Arme, meine Augen glichen seinen (jedenfalls nach ein paar Monaten… die Augen von eurasischen Babys bleiben oft länger blau und sind sehr Dunkelblau und dann gab es im November weit und breit kein Licht) und ich hatte das gleiche widerspenstige Rosshaar. Mein Bruder hatte mich aus einer Torheit heraus gewünscht… Kurzum, ich wurde geliebt und fand die Welt spannend. Durchaus Gründe dem Leben nicht all zu negativ gegenüber zustehen.
Und auch die Bilder, die bis etwas über meinen ersten Geburtstag von mir gemacht wurden bewiesen das (das und mein Hang dazu Menschen sehr genau zu betrachten, andere Kinder meist dazu recht bedrohlich zornig… vielleicht hatte ich auch deshalb bis zur musikalischen Früherziehung nur eine Freundin!). Jedenfalls strahlte dieses Knäuel Leben, welches da abgelichtet wurde, meist schon eine zuckrigschaumige und strahlende Freude aus. Schwarze Knopfaugen können wirklich ausdrucksstark sein (wer das nicht weiß, der gucke sich mal einen Steifbären an). Meine Mutter war aber schon durch gewisse Umstände aufmerksam geworden, deshalb vergaß sie den Fotoapparat ab da an, vielleicht versteckte sie ihn sogar um mögliche Verschlimmerungen nicht anhand von Bildern attestieren zu müssen…
Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihre Tochter gerne allein war. Auch wenn sie sich zu gerne an ihren Erstgeborenen erinnerte und die schönen Stunden, wenn er auf ihrem Bauch einschlief, oder nur beruhigt war, wenn er ihre Haut atmete und fühlte. Nun, die Tochter war anders, ertrug nicht die Nähe wenn sie schlafen wollte und konnte dann nicht allein genug sein. Sie schlief so weit entfernt wie möglich von dem Rest der Familie, viele Türen mussten verschlossen werden und den Rest der Welt aussperren. Doch Anders war ja gut. Und wenn sie glücklich damit war, dann musste sie eben während des Mittagsschlafs und der Nacht zum Eremit werden.
Tja, aber war sie glücklich? Denn meine Mutter wurde hellhörig. Doch so gut sie hinhörte, das Kind lachte nie. Nie offen heraus, nie überhaupt. Ja, es lächelte, es strahlte sogar. Aber es lachte nie, noch nicht mal tonlos!
Hätte sie mich mal gefragt, ich hätte ihr bestimmt sagen können, dass ich glücklich war. Denn Sprechen konnte ich früh (ich wollte damit bestimmt meine körperliche Trägheit ausgleichen). Aber sie fragte Ärzte, die mich wiederum genau anguckten, während ich sie auch neugierig im Blick behielt. Der eine hatte ein lustiges Krokodil auf dem weißem Hemd.. Die Ärzte befanden mich als komisch aber nicht wirklich behandelbar…auch, weil ich ansonsten doch ganz im Rahmen des Normalen lag. Wie gesagt, ich hatte zwei Arme und Beine und bewegte alles wie jeder andere auch. Nur das eine Auge war etwas schwach, doch der Arzt tat es als asiatische Macke ab. „Die Schielen doch alle…“
Meine Mutter spürte aber immer leicht eine Sorge, war ihr Kind wirklich ein fröhliches Kind?
Erst mit vier Jahren lachte dann das unsägliche Kind.
Wieso ich das jetzt schreibe? Weil ich eben durch mein Lachen beim Lesen eines Buches daran erinnert wurde. Ich lache immer noch selten frei heraus und anhaltend. Ich bin so untrainiert im Lachen, dass ich dabei eher Asthmaanfälle kriege als beim Laufen (gerade schnaufe ich noch) und nach seltenen Lachflashs habe ich sogar Muskelkater im Gesicht.
Dabei war ich doch „immer so ein frohlich Kind.“

erphschwester (Gast) - 16. Aug, 09:48

kommt ...

... mir alles sehr bekannt vor. auch wenn meine phase der relativen äusseren glückseligkeit länger gedauert haben mag und ich mich nicht eines umfeldes erfreuen konnte, in dem "anders" als positiv bewertet wurde. als jüngster spross einer kinderreichen und äusserst kommunikativen familie trat man meinen anfällen von rückzug allgemein sehr verhalten, wenn nicht ablehnend gegenüber, jedenfalls aber unverständig. nochzumal es eine schwierige sache ist, sich bei 6 personen auf 64qm irgendwie zurück zu ziehen. (erst klappte ich die schutzglocke des jeweiligen buches um mich; dann entdeckte ich eine bodenkammer für mich; später wurde ich zum nestflüchter)
ein lehrer in der oberstufe hat es mir gesagt, vielmehr mich gefragt, warum ich nicht ein bißchen so wäre wie meine geschwister, die er alle auch schon unterricht hatte. sehr pädagogisch war das sicher nicht, traf aber so ungefähr den kern von allem, was die meisten anderen auch dachten.
die analogie reicht tatsächlich bis hin zum lachen. mit dem ich auch nicht so großzügig umgehe. und wenn ich´s tue, lachen, dann nicht immer da, wo´s andere auch täten. weil sie ganz andere dinge sehen und hören als ich.

an all das erinnerte ich mich, weil dieser satz "du warst doch immer ein so fröhliches kind" mich wirklich und wahrhaftig begleitet hat, solange meine mutter lebte.

AiHua - 16. Aug, 15:26

In meiner Familie war Lesen vollkommen in Ordnung, man durfte sich überall hin zurückziehen mit einem Buch. Ich las auf der Treppe, auf halben Weg, wie ein Schneider auf dem Tisch sitzend, vor der Waschmaschine... Da gab es keine Probleme. Meine Großmutter las auch schon bei ihr hatte man sich allerdings beratschlagt. Als sie eine junge Frau war, machte sich ihre Familie Gedanken, sie las mehr als dass sie sich um Kind, Mann und Wohnung kümmerte (wahrscheinlich hatte sie Kindsbettdepressionen, das meinte jedenfalls meine Urgroßtante) und dann haben sie ihr einen Hund geschenkt. Wenn schon zurückgezogen, dann doch nicht allein.
Und allein habe ich mich auch nie gefühlt. Selbst die Launigkeit war akzeptiert, als Familienübel ausgeschrieben.
Meine Mutter hat mir vor wenigen Jahren festgestellt, dass ich in gewisser Weise langweilig bin. Sie würde also nicht sagen, du warst immer so ein fröhliches Kind, eher: du hattest Temperament (und wo ist das jetzt hin?).

Zu Deinem Andersleben in der Schulzeit: Lehrer sind nicht unbedingt für ihre Feinfühligkeit bekannt...
erphschwester - 16. Aug, 21:26

lesen ...

... war bei uns auch in ordnung, sozusagen die einzig akzeptierte möglichkeit des rückzuges. allerdings möchte ich nicht so weit gehen, zu behaupten, ich hätte deswegen gelsen. und was die sache mit dem allein und einsam angeht. vielleicht habe ich mich so nach dem alleinsein gesehnt, weil ichs auf grund der enge nie wirklich war? einsam, nunja, das will ja niemand wirklich sein. jedoch wird ein gewisses mass an einsamkeit vorprogrammiert gewesen, wenn die jüngste schwester sieben jahre älter war. dieser alters- und damit entwicklungsunterschied hat sich erst in den letzten zehn/fünfzehn jahren verwischt. für meinen bruder war es da schon zu spät; er ist 1995 gestorben.

AiHua - 17. Aug, 06:27

Das erinnert mich an mein linker Fuß, da wird ja auch geschildert, dass die Geschwister durch ihr Alter in zwei Lager geteilt waren, nur dass Du dann in Deinem Lager allein warst. Ich kann mir vorstellen, dass es dann schwierig ist Gemeinsamkeiten bei dem anderen zu finden.
Robby (Gast) - 17. Aug, 19:22

Denn Sprechen konnte ich früh (ich wollte damit bestimmt meine körperliche Trägheit ausgleichen).

Ich auch, ich auch *armwedel*
Oh man, beim Betrachten meiner Kinderfotos habe ich auch mal fast'n Koller gekriegt. Man muss ich glücklich gewesen sein...

Und Lachen... was gibt es Schöneres?! Man braucht nur die richtigen Leute dazu :) Böse Lachfalte neben dem linken Mundwinkel...

AiHua - 19. Aug, 15:19

Wir also beide. Erzählt Dir Deine Mutter immer noch heute wie "gehfaul" du warst? Am besten vor wildfremden Menschen, oder vor welchen bei denen man eigentlich Eindruck machen will?
To01 - 19. Aug, 15:13

somit sparst du dir die lachfalten und das schmerzende gefühl im bauch. hm, frei heraus lachen, sozusagen herzhaft, macht man doch recht selten, oder?

AiHua - 19. Aug, 15:20

ich auf jeden fall.

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