Lieblingsstück
Auf die Frage hin welches Kunstwerk im jeweiligen Haus Münchens mein Lieblingsstück sei, weiß ich eigentlich nur eine Antwort für die Pinakothek der Moderne. Hot Rolles Common Steel, oder schlicht und ganz klar Steel Row von Carl André.
Meist noch von der Architektur überwältigt, nachdem man eine imposante Treppe hinter sich gelassen hat, muss man nahezu eine belanglose Kurve laufen, wodurch man nur noch mehr sich des Raumes bewusst und zu leicht die Skulptur aus geschwärztem Metall am Boden übersieht.
Wenn man aber auf das Werk aufmerksam gemacht wird, dann ist die Aufstellung in diesem Raum allerdings perfekt. Der Unterschied ist so gewaltig, dass man intuitiv versteht was Minimal Art ausmacht und André zählte zu einem der wichtigsten Anhänger.
Wie ein Teppichläufer liegen die zehn Metallplatten hintereinander. Schlicht und einfach liegen sie gleichwertig als ‚Stahlreihe’ da. Jedes Modul ist untereinander austauschbar.
Die 1968 entstandene ‚Bodenskulptur“ ist eine ganz typische Arbeit Andrés, immer wieder aufgegriffen und variiert.
Absichtlich hält er die Platten dünn, so dass die Skulptur fast nur noch zweidimensional ist und somit durch das Kunstwerk ein eigener Platz entsteht. Es ist, wenn überhaupt, auf den Umraum nur als Abgrenzung angewiesen.
Und anders als bei den meisten Kunstwerken im musealen Raum ist dieses nicht auf die Wahrnehmung weniger Sinne angewiesen. Ich liebe es die Steel Row abzuschreiten. Den Unterschied im Klang zu hören, den meine Schritte machen wenn ich sie ablaufe, der metallische Klang gegenüber den Steinfliesen im Museum. Man ist nicht nur Betrachter, nimmt an diesem Kunstwerk weitaus mehr teil als an manch anderem weitaus lauter schreiendem Werk in diesem Haus.
Ich kann und darf die Steel Row wie einen Weg ablaufen, sehe ihr Ende, aber auch ihre mögliche Weiterführung durch die Wiederholung in meinem Kopf. Und durch den Klang meiner Schritte wird mir noch deutlicher die eigene Position auf diesem Weg aufgezeigt.
Das Thema des Weges begleitete Andrés Werk, er beschreibt selber:
„Viele meiner Werke, [...] waren solche, die man als Fußwege bezeichnen könnte [...]. Sie waren gleich Straßen, sicher nicht fixierte Ausblicke. Ich denke, eine Skulptur sollte einen unendlichen Blickpunkt haben.“
Und nicht nur mit diesem Ausspruch beweist er seine Verwandtschaft zu Brancusis Unendlichen Säulen. Doch anstatt sich, wie die Säulen, in die Höhe zu erheben, die man geistig nach unten und oben fortsetzen kann, bleibt André mit der Steel Row auf dem Boden und deutet das Prinzip für die Horizontale an.
Meistens finde ich die Platzierung von dem Stück nur schrecklich, dann aber wieder genau passend. Und vielleicht habe ich auch nur deshalb so eine besondere Beziehung dazu entwickeln können.
Doch insgesamt ist ja gerade so strömungsmäßig wieder das Gegenständliche beschworen worden, das Meisterhafte, in gewisser Weise das große Handwerk wird gesucht. Entweder weil eine Gesättigheit eingesetzt hat, oder aber weil man sich an Qualität halten will um überhaupt bei der ganzen Kunst noch die wirkliche Kunst zu erkennen, einzugrenzen.
Mir wird immer leicht übel, wenn in meiner Umgebung über Qualität gesprochen wird. Was eigentlich nichts mit der Debatte insgesamt zu tun hat, sondern weil die Qulität ein Kriterium der Eingrenzung der Kunstgeschichte ist. Und das heiße ich nicht gut.
Beispielsweise wird doch in letzter Zeit auch Man Ray besprochen, als Nachamhmer und kein Kopf gesehen und dann einfach als nur kommerziel überzeugend abgehakt. Das ist mir zu arrogant und zu einfach.
Und somit halte ich es auch als zu einfach Kunstrichtungen wie Fluxus, Minimal und ähnliche als aufgeblassen, durch die Künstlerpersönlichkeit aufgebauschte Sache zu sehen.
Wobei Du natürlich auch recht hast. Das Kunstwesen ist ein riesen Markt und oftmals geht es da nicht um Kunst, sondern darum wie man einen Künstler begehrenswert teuer machen kann.
Ist der Qualitätsbegriff nicht einfach ein Hilfsmittel, um sich über den Wert von Kunst auseinander zu setzen? Ich verstehe schon, dass die simple Wertung, die ohne Begründung dem einen Kunstwerk eine Qualität zuspricht und dem anderen nicht, nicht gerade ansprechend ist. Besonders, wenn die eigenen Qualitätsmaßstäbe entweder nicht benannt oder absolut gesetzt werden. Aber die Vermeidung des Qualitätsbegriffs ist doch auch keine Lösung. Im Gegenteil. Die aktuelle Unfähigkeit, sich auf andere Maßstäbe als die des Hypes, des Markterfolgs oder der reinen Subjektivität einzulassen, also die deutlich spürbare Orientierungslosigkeit in der Auseinandersetzung mit Kunst, führt dazu, dass wirklich jeder Mist Kunst werden kann und es offensichtlich auch geworden ist. So wird Kunst als transzendierendes Moment schließlich bedeutungslos. Wenn alles Kunst wird, ist nichts mehr Kunst. (Transzendenz, schwieriger Begriff, aber Du siehst, es geht mir nicht um eine Parteinahme zugunsten des Gegenständlichen.) Und so kommt mir Kunst zur Zeit nur noch als das vor, was sich unter diesem Label vermarkten lässt oder irgendwie irgendeinen aktuellen Trend bedient. Für mich ist das Desinteresse gegenüber Qualitäten erschreckend. In den Galerien, die ich hin und wieder besuche, sehe ich Menschen, die vor Tapetenausschnitten stehen, Deko-Elemente, die nicht wirklich interessieren, deren Inhalte beliebig und deren formale Aussage belanglos scheinen. Das Publikum reagiert entsprechend, nämlich gar nicht, süffelt dazu am Perlwein oder Tannenzäpfle und amüsiert sich miteinander.
Und: Ist es nicht seltsam, dass sehr viele Künstler die Herstellung der Transzendenz zur Hauptaufgabe des Betrachters machen? Und setzen deshalb nicht viele dieser Künstler ihre eigene Existenz marketingtechnisch ein, damit ihr Werk trotz dessen Nichtigkeit erst mal wahrnehmbar wird? Haben sich nicht beunruhigend viele Künstler der populären und damit kommerzialisierten Kultur ergeben und sich dabei der totalitären Verblödungsindustrie unterworfen? (Auch da meine ich, ein Andy Warhol reicht, um das Prinzip klargemacht zu haben). Sicher, diese Selbstvermarktungskünstler sind damit auch nicht doofer als wir. Aber wozu brauchen wir den Künstler und seine Kunst, wenn man ihn in seiner Diesseitsbezogenheit und Trendverliebtheit von einem Art Direktor (Warhol war ja einer) kaum noch unterscheiden kann?
Kurz, da möchte ich tatsächlich Kunst (nicht die Kunstgeschichte!) eingrenzen. Für mich ist nur Kunst, was meinem Anspruch genügt, formal und inhaltlich über den Durchschnitt der allgemeinen Kulturproduktion hinaus zu weisen. Ich weigere mich, auch schlechte Kunst als Kunst zu bezeichnen. Sonst, befürchte ich, muss man in Zukunft nicht mehr von Künstlern, Kunst und Kunstgeschichte reden, sondern nennt das dann besser Art Agents, Layouts und History of Creativity. Okay, es gibt Schlimmeres, doch schön ist die Vorstellung nicht. Nun gut, ich bin, was meinen Kunstbegriff angeht, sicherlich ein radikaler Romantiker, das mag weltfremd scheinen, aber in der Welt des Pragmatismus braucht's auch keine Kunst, da reichen tatsächlich Tapeten.
Allerdings verstehe ich auch, dass eine Kunsthistorikerin zwangsläufig selbstkritischer mit dem Qualitätsbegriff an die Kunst rangeht als ich, der ich ja einfach nur kunstinteressiert bin.
Unser Thema erinnert mich übrigens ein bisschen an "Kunst" von Yasmina Reza. Hab's vor kurzem auf dem Theaterkanal gesehen. Sehr, sehr witzig.
Wobei ich wirklich nicht sagen will, dass Kunsthistoriker nicht unmittelbare Kunst bearbeiten können. Ich halte es nur für weitaus schwieriger.
Zur Qualitätsfindung als solches. Du hast ja geschrieben, dass es nicht dogmatisch sein darf und das sie begründet werden sollte. Ich finde schon, dass ich (vielleicht durchaus schlecht) das bei diesem Werk versucht habe. Meiner Meinung nach, hat es eine sehr intensive Qualität, weitaus mehr als viele andere Werke von André selber.
Und ich kann auch nicht sehen, dass André die Herstellung der Transzendenz dem Betrachter allein überlässt. Ich meine, schließlich ist es immer ein Spiel zwischen Werk und Betrachter, aber so leer ist das ganze Kunstwerk nun doch nicht, als dass es allein vom Betrachter befüllt werden muss, also beliebig ist.
Übrigens finde ich auch, dass the Fountain durchaus noch etwas mehr aussagt, als dass ein fertiges Produkt signiert wurde. Aber das nur am Rande.